Langjährige Mitarbeiterin späht E-Mail-Konto aus
Seit 23 Jahren war die Klägerin bereits bei der Gemeinde als Küsterin beschäftigt und ordentlich unkündbar. Sie erledigte u. a. die Buchhaltung und hatte Zugriff auf den Gemeinde-PC des Pastors, sofern es ihre Aufgabenerfüllung erforderte. Dennoch beschäftigte sie sich auch mit seinen persönlichen E-Mails und entdeckte eine E-Mail des Superintendenten.
Er informierte über ein Ermittlungsverfahren gegen den Pastor, das wegen des Verdachts sexueller Übergriffe auf eine Frau eingeleitet worden war. Im Verlauf ihrer weiteren Suche fand die Klägerin einen ungesicherten und als „privat“ gekennzeichneten Ordner. Dieser beinhaltete einen sehr umfangreichen Chatverlauf zwischen dem Pastor und der betroffenen Frau, die im Kirchenasyl der Gemeinde lebte.
Arbeitgeberin kündigt der Klägerin fristlos
Die Küsterin speicherte den gesamten Chatverlauf auf einem USB-Stick. Diesen leitete sie ohne Rücksprache mit ihren Vorgesetzten anonym an eine Vertraute der Asylbewerberin weiter, die ehrenamtlich in der Gemeinde arbeitete. Später übergab sie die Korrespondenz auch an die Staatsanwaltschaft Aachen.
Das Ermittlungsverfahren gegen den Pastor wurde kurz darauf mangels eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt und dessen Beurlaubung aufgehoben (§ 170 Abs. 2 StPO).
Nachdem die Verantwortlichen von dem vertragswidrigen Verhalten erfahren hatten, kündigte die Kirchengemeinde der Küsterin mit Zustimmung der Mitarbeitervertretung außerordentlich und fristlos. Daraufhin reichte sie Kündigungsschutzklage ein.
Arbeitsgericht (AG) Aachen würdigt die langjährige Mitarbeit
Das Verhalten der Küsterin werteten die Richter des AG Aachen als massiven Pflichtverstoß und Vertrauensbruch. Die Klägerin habe unbefugt auf die persönlichen Daten des Pastors zugegriffen und damit sein Persönlichkeitsrecht sowie die arbeitsvertraglichen Schutz-und Rücksichtnahmepflichten verletzt.
Dazu erklärte die Klägerin, dass die Asylbewerberin an erheblichen psychischen Problemen leide und bereits einen Suizidversuch unternommen habe. Sie wollte die Frau nur vor den Übergriffen des Pastors schützen, um einen befürchteten weiteren Suizidversuch zu verhindern.
Das AG Aachen wertete ihre langjährige Mitarbeit in der Kirchengemeinde positiv, in der es bisher keine Beanstandungen gegeben hatte. Vor diesem Hintergrund sei eine Kündigung durch den Arbeitgeber auch mangels Wiederholungsgefahr unverhältnismäßig. Stattdessen wäre unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes eine Abmahnung angemessen gewesen. Daher gaben die Richter der Kündigungsschutzklage statt (22.04.2021,Az. 8 Ca 3432/20).
Die Kirchengemeinde akzeptierte die Entscheidung des AG Aachen nicht und legt Berufung ein.
LAG Köln: Weiterbeschäftigung ist für Arbeitgeberin unzumutbar
Das zuständige Landesarbeitsgericht (LAG) Köln beurteilte das Vertrauensverhältnis zwischen der Kirchengemeinde und der Mitarbeiterin als unwiderruflich zerstört. Die vorgetragenen Beweggründe der Klägerin entschuldigten weder eine unbefugte Datenweitergabe noch die Verletzung von Persönlichkeitsrechten oder Verstöße gegen die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht.
Vielmehr rechtfertige die gezielte Durchsuchung eines fremden Dienstcomputers mit nachfolgender Sicherung und Weitergabe der Daten eine außerordentliche Kündigung. Das gelte auch dann, wenn dies zur Beweissicherung einer Straftat geschehe, ohne jedoch vom Arbeitgeber veranlasst worden zu sein. Im Ergebnis seien die Handlungen nicht zielführend gewesen, um eine Straftat aufzudecken. Stattdessen hätte eine Information an das Landeskirchenamt ausgereicht.
Aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung sahen die Richter auch die erstmalige Akzeptanz eines solchen Verhaltens für die Arbeitgeberin als unzumutbar an. Das Lösungsinteresse der Gemeinde sei vorrangig und die ausgesprochene fristlose Kündigung daher wirksam (LAG Köln am 02.11.2021 Az. 4 Sa 290/21).