Berechtigt das Kirchenrecht zur Kündigung nach dem Austritt?
Die Kirchen gehören zu den größten Arbeitgeberinnen hierzulande und haben arbeitsrechtlich einen besonderen Status. In Art. 137 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung wird ihnen ein Selbstbestimmungsrecht garantiert, das heute noch Gültigkeit hat. Das ermöglicht den Kirchen, ein eigenes Arbeitsrecht zu erlassen. Daraus leiten sie das Recht ab, die Beschäftigung ihrer Mitarbeiter bzw. der ihnen zugeordneten Einrichtungen von der Religionszugehörigkeit abhängig zu machen. Das Ziel ist es, das Ethos und die Glaubwürdigkeit der Kirchen zu bewahren.
Jede Mitarbeit dient im kirchlichen Verständnis der Erfüllung des christlichen Auftrags. Insbesondere wenn unmittelbarer Kontakt mit den Gläubigen besteht, ist ein Austritt aus der Institution Kirche inakzeptabel. Daher wird die Konfession in sogenannten „verkündungsnahen Tätigkeiten“, die beispielsweise ein Pfarrer, eine Pastorin und ein Priester ausüben, vorausgesetzt.
Der Europäische Gerichtshof hat das Recht der Kirchen am 17.April 2018 begrenzt (Az. C-414/16)und konkretisiert, wann eine Einstellung verweigert bzw. ein bestehender Arbeitsvertrag wegen der Kirchen- oder Religionszugehörigkeit gekündigt werden darf. Demnach muss die Anforderung einer bestimmten Konfession zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt sein.
Fristlose Kündigung des Kochs nach Kirchenaustritt
Die evangelische Gesamtkirchengemeinde in Stuttgart ist seit 1995 Arbeitgeberin eines ordentlich unkündbaren Kochs, der 2019 seinen Austritt aus der evangelischen Kirche erklärte. Daraufhin kündigte ihm die Gemeinde außerordentlich und fristlos mit der Begründung, alle Beschäftigten seien gläubige Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Christliche Kirchen in Deutschland e. V. Eine Abkehr davon sei ein schwerwiegender Verstoß gegen die vertraglichen Loyalitätspflichten.
Der gekündigte Mitarbeiter argumentierte, dass er lediglich 14-tägig an Teamsitzungen teilnehme und ansonsten nur während der Getränkeausgabe Kontakt mit Gemeindemitgliedern hatte. Die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche sei daher eine ungerechtfertigte Anforderung. Die Kündigung stelle eine unzulässige Benachteiligung dar.
LAG: Die Kirchenzugehörigkeit stellt für einen Koch eine ungerechtfertigte Anforderung dar
Das LAG Baden-Württemberg gab dem Arbeitnehmer recht und erklärte die Kündigung in zweiter Instanz für unwirksam. Die Richter stellten klar, dass die Zugehörigkeit zur evangelischen oder einer anderen Kirche für die Aufgaben eines Kochs keine berechtigte Anforderung darstelle. Daher müsse die evangelische Kirchengemeinde den Koch weiterbeschäftigen.
Die Entscheidung basierte auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH, 17.04.2018, C-414/16 und 11.09.2018,C-68/17). Eine Revision gegen diesen Urteilsspruch wurde nicht zugelassen (LAG Baden-Württemberg, 10.02.2021, 4 Sa 27/20).
Sozialpädagogin nach Kirchenaustritt in der Elternzeit gekündigt
Die katholische Kirche setzt ebenfalls die Zugehörigkeit zu ihrer Institution von den Beschäftigten voraus. Diese Erfahrung machte auch eine Sozialpädagogin, die seit 2006 bei einem Verein der katholischen Kirche beschäftigt war. Ihre Aufgabe bestand darin, Familien und schwangere Frauen in besonderen Lebenslagen zu unterstützen.
Während ihrer Elternzeit von 2013 bis 2019 erklärte sie ihren Kirchenaustritt. Danach ersuchte der Arbeitgeber die Sozialpädagogin, wieder in die Kirche einzutreten, was sie jedoch ablehnte. Daraufhin erhielt sie die außerordentliche und fristlose bzw. hilfsweise ordentliche Kündigung zum 31.12.2019.
Die Sozialpädagogin reichte Kündigungsschutzklage ein. Nachdem bereits zwei Vorinstanzen die fristlose und die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung für unwirksam gehalten hatten, setzte das Bundesarbeitsgericht das Verfahren über die Revision des Arbeitgebers aus.
BAG: Außerordentliche Kündigung wegen Kirchenaustritts kann auch rechtmäßig sein
In dem Fall eines seit 1993 angestellten Mitarbeiters des katholischen Caritasverbandes entschied das BAG jedoch zugunsten der Kirche. Die Richter erklärten, dass die Kündigung des Mitarbeiters nach einem Kirchenaustritt zwar eine Ungleichbehandlung nach den §§ 1, 7 AGG darstelle. Diese könne dennoch nach § 9 Abs. 1, 2 AGG rechtmäßig und ein entscheidendes Kriterium bei der Beschäftigung sein.
Der Caritasmitarbeiter hatte sich aufgrund der zahlreichen Missbrauchsfälle der katholischen Kirche dazu entschieden, auszutreten. Daraufhin kündigte ihm die kirchliche Trägerin fristlos wegen des Loyalitätsverstoßes. Der als Sozialpädagoge beschäftigte Mitarbeiter reichte daraufhin Kündigungsschutzklage ein, der das BAG nicht entsprach. Die Richter hielten die Kündigung für wirksam.
Der Kirchenaustritt stehe seiner Weiterbeschäftigung entgegen, da der Mitarbeiter gerade in seinem Beruf dem kirchlichen Auftrag unterworfen sei. Daher stehe seine Glaubens- und Gewissensfreiheit hinter dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen zurück. Der Caritasverband müsse ihn daher nicht weiterbeschäftigen (25,04.2013 Az. 2AZR 579/ 12).