Steht die Inflationsausgleichsprämie auch Arbeitnehmern in Elternzeit zu?
Eine Beschäftigte im öffentlichen Dienst (Tarifvertrag TVöD-VK) befand sich ab Sommer 2022 in Elternzeit. Die Arbeitgeberin zahlte den Mitarbeitern für das Geschäftsjahr entsprechend dem „Tarifvertrag über Sonderzahlungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise (TV Inflationsausgleich)“ vom 22. April 2023 eine Inflationsausgleichsprämie. Der Arbeitnehmerin in Elternzeit wurde die Sonderzahlung jedoch aufgrund des Tarifvertrages verwehrt. Lediglich für die Monate Januar und Februar 2023, in denen die Mitarbeiterin 24 h pro Woche teilzeitbeschäftigt war, leistete die Arbeitgeberin jeweils 135,38 EUR Inflationsausgleich.
Mitarbeiterin fordert die Nachzahlung
Die entgangene Inflationsausgleichszahlung für 2022 wollte die Mitarbeiterin nicht hinnehmen. Sie forderte die Arbeitgeberin zur Zahlung auf und erklärte, dass der Ausschluss von Beschäftigten in Elternzeit der Intention der Prämie entgegenstehe. Das Ziel sei die Entlastung der Arbeitnehmer im Hinblick auf die deutlich gestiegenen Lebenshaltungskosten.
Tatsächlich benachteilige der TV Inflationsausgleich die Beschäftigten in Elternzeit, während beispielsweise Arbeitnehmer mit Kinderkrankengeldbezug anspruchsberechtigt seien. Damit liege ein Verstoß gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot vor. Zudem sei die Regelung diskriminierend aufgrund des Geschlechts (§ 1 AGG), da der größte Teil der Elternzeit in der Regel von Müttern genommen werde.
Vor diesem Hintergrund forderte die Klägerin nicht nur die Nachzahlung der Inflationsausgleichsprämie, sondern auch eine Entschädigung von mindestens 8.000 EUR.
Arbeitgeberin lehnt Sonderzahlung als unberechtigt ab
Dieser Forderung kam die Beklagte nicht nach. Sie vertrat die Ansicht, dass die fragliche Regelung der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie unterliege. Tarifparteien seien dabei nicht verpflichtet, eine für alle optimale Lösung zu vereinbaren. Die Ausschlussregelung der Inflations-Sonderzahlung beruhe auf einem sachlichen Grund und unterliege keiner Willkür. Voraussetzung für die Zahlung sei u. a., dass an mindestens einem Tag zwischen dem 1. Januar 2023 und dem 31. Mai 2023 Anspruch auf Entgelt bestanden hatte. Da die Mitarbeiterin jedoch in Elternzeit war, habe sie für diesen Zeitraum keine Sonderzahlung erhalten.
Die Arbeitgeberin sei lediglich verpflichtet gewesen, die Inflationsausgleichsprämie für Januar und Februar 2023 in Höhe von jeweils 135,38 EUR zu leisten. Dieser Anspruch beruhe auf der aufgenommenen Teilzeitbeschäftigung der Klägerin.
Ist Inflationsausgleichsprämie mit Krankengeldbezug vergleichbar?
Die Inflationsausgleichsprämie sei auch nicht mit Krankengeldbezügen vergleichbar, da die Klägerin während der Elternzeit, für die sie sich frei entschieden habe, kein Entgelt bezogen hatte. Hätten Mitarbeiter im Erziehungsurlaub ohne Teilzeittätigkeit ebenfalls Anspruch auf die geforderte Prämie, würden Beschäftigte in unbezahltem Sonderurlaub benachteiligt. Ein Arbeitgeber sei außerdem nicht für den Reallohnverlust während der Elternzeit verantwortlich.
Zusammenfassend verstoße der Ausschluss der Inflationsausgleichszahlung weder gegen das arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgebot noch gegen das Diskriminierungsverbot. Die Regelung habe schließlich keinerlei Bezug zum Geschlecht.
Arbeitsgericht Essen: Inflationsausgleich steht auch Beschäftigten in Elternzeit zu
Den Sachverhalt entschied das Arbeitsgericht Essen zugunsten der Klägerin (16.04.2024, Az.: 3 Ca 2231/23). Die Arbeitgeberin habe die Inflationsausgleichszahlung vorzunehmen. Das Gericht konnte keinen sachlich gerechtfertigten Grund für die Ungleichbehandlung erkennen. Vielmehr sei die tarifvertragliche Regelung unzulässig und verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG, der die Tarifautonomie begrenzt.
Die Ausschlussregelung beruhe offensichtlich auf sachwidrigen und willkürlichen Erwägungen. Jedenfalls sei für die Kammer nicht erkennbar, warum andere Beschäftigte ohne Entgelt Anspruch auf die Zahlung hätten, beispielsweise Mitarbeiter mit Krankengeldzuschuss oder Kinderkrankengeldbezug. Die Richter urteilten: „Der Ausschluss von Arbeitnehmern in Elternzeit verstößt gegen das vorstehende Willkürverbot“.
Gleichheitswidrige Regelungen müssten seitens der Gerichte unterbunden werden. Vor diesem Hintergrund entschied das Arbeitsgericht Essen, dass auch Mitarbeiter in Elternzeit Anspruch auf die volle Inflationsausgleichsprämie haben. Dagegen bestätigten die Richter den Entschädigungsanspruch der Klägerin gemäß § 15 Abs.2 AGG nicht.